„Stelle Dir vor, Du könntest an einem Ort Deiner Wahl leben und diesen auch selbst gestalten. Wie deinen persönlichen Garten. Wie würde er aussehen? Wo würde Dein Eden sein?“ Mit diesen Worten wird auf der Internetseite des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden das Tanz-Partizipationsprojekt „EDEN“ beschrieben. Und weiter:
“ ‚EDEN‘ begibt sich auf die Suche nach diesem lebendigen Ort in uns und um uns herum und fragt danach, wie und wo ein Ort des Gleichgewichts zwischen unberührten, wilden Naturmächten und domestizierten, gepflegten Landschaften artikuliert werden kann. In einer Auseinandersetzung mit den Sprachgewalten der Natur erforscht das Partizipationsprojekt wie Mensch und Natur als Einheit, Gegensätze, Spielmöglichkeiten oder Reibungsflächen in einen Dialog miteinander treten können. Wir laden Menschen aus unterschiedlichen Lebenskontexten, Biografien und Generationen ein, diesen utopischen oder realen Ort mit zu erschaffen und eine außergewöhnliche Tanzerfahrung zu erleben.“
Insgesamt hatten sich allein in der Landeshauptstadt Wiesbaden 150 Frauen und Männer, die das Mindestalter von 16 Jahren gerade eben erreicht hatten oder auch schon deutlich älter waren, für das Partizipationsprojekt in Kooperation mit der Tanzplattform Rhein-Main beworben. Teilnehmen konnten letztlich jedoch – produktions- und auch Corona-bedingt – nur 20 Personen.
Sechs Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen des Landesprogramms InteA – Integration durch Anschluss und Abschluss die letzten Jahre ihrer Schulpflicht an der Kerschensteinerschule in Wiesbaden verbringen, schafften es unter die glücklichen 20. Sie lassen sich zwischen Anfang Mai und Ende Juli 2022, wenn die letzte Vorstellung über die Bühne gegangen sein wird, auf das Tanzabenteuer ein.
Die Teilnahme am Partizipationsprojekt ist kostenlos – und man muss noch nicht einmal Tanzkenntnisse mitbringen.
Die Wiesbadener Proben finden jeden Mittwochabend von 18:45 bis 22:00 Uhr im Hessischen Staatstheater statt. Die Künstlerische Leitung haben Nira Priore Nouak, Raimonda Gudavičiūtė und Marcelo Omine.
Das Projekt „EDEN“ ist allerdings tatsächlich ein städteübergreifendes Projekt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus der Landeshauptstadt Wiesbaden, aus Darmstadt und aus Frankfurt und werden zunächst getrennt voneinander, jede Gruppe in ihrer Stadt, die Chorographie einstudieren. Später werden die Gruppen in Samstagsproben nach und nach zusammengebracht, dabei stehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den drei Städten dann erstmals gemeinsam auf der Bühne. Bei der Premiere in Darmstadt Ende Juni 2022 und während der Vorstellungen in Wiesbaden und Frankfurt im Juli werden insgesamt 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Bühne stehen. Man kann sich also schon einmal auf die Vorstellungen im Sommer mit dieser riesigen Anzahl an Partizipantinnen und Partizipanten freuen!
Die InteA-Schülerinnen und -Schüler berichteten, nachdem die ersten Proben ‚überstanden‘ waren, dass sie mit „EDEN“ völlig neue Erfahrungen machen.
Viele von ihnen hatten zuvor keinerlei Tanzerfahrungen, noch waren sie schon jemals in einem Ballettsaal gewesen. Die jungen Leute aus der Kerschensteinerschule arbeiten mit einer bunt gemischten Gruppe aus allen Alterstufen und Generationenen zusammen – und natürlich mit professionellen Künstlerinnen und Künstlern. Das Partizipationsprojekt hat Anspruch – und beansprucht die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch in nicht geringem Maße.
Die Proben laufen bisher gut, erfordern aber jedes Mal drei Stunden am Stück Konzentration und Ausdauer. Die Chorographie ist sehr komplex, so erzählen es die InteA-Schülerinnen und -Schüler. Jedoch hätten sie immer viel Spaß dabei und würden auch viel lachen.
Sirin Akyol, Sozialpädagogin und InteA-Projektkoordinatorin für FRESKO e.V., berichtet von ihren Eindrücken bei der ersten Probe – bei der sie gleich dabeibleiben und mittanzen durfte (oder: musste?): „Eigentlich wollte ich die Schülerinnen und Schüler zum ersten Termin nur hinbegleiten, sie dort abgeben und anschließend nach einem langen Arbeitstag nach Hause fahren. Doch am Staatstheater angekommen, hat mich die künstlerische Leiterin Nira Priore Nouak überzeugt, bei der ersten Probe einfach gleich dazubleiben und mitzumachen. Ich habe mich drauf eingelassen, denn ich war ja schon sehr neugierig.
Nach einer langen Vorstellungs- und Einführungsphase ging es endlich los. Wir verteilten und bewegten uns im Raum, erst einmal Aufwärmübungen. Dann wurden hintereinander einzelne Tanzelemente vorgestellt, die wir nachmachen sollten. Zum Beispiel hat jeder ein großes Kissen bekommen, sollte auf dem Kissen sitzen, liegen, stehen, sich auf das Kissen fallen lassen und viele weitere solcher Aktivitäten. Im Hintergrund lief Musik, die extra für das Partizipationsorojekt komponiert worden war. Nach drei Stunden war ich platt. Den InteA-Schülerinnen und -Schülern ging es aber nicht anders!
„Für mich persönlich war es ein tolles Erlebnis, mich gemeinsam mit völlig fremden Menschen und insbesondere mit meinen Schülerinnen und Schülern auf die Tanzerfahrung einzulassen.“
Wir sehen uns täglich im Unterricht, sie kommen oft in mein Büro – aber tanzen haben mich die Schülerinnen und Schüler ja noch nie gesehen! Beim Blickkontakt mit ihnen lachten wir viel über uns selbst. Nach den drei Stunden haben die Schülerinnen und Schüler und Nira Priore Nouak versucht, mich zu überreden, jede Woche mitzumachen. Anscheinend sahen sie in mir ein unentdecktes Tanztalent … Das Angebot musste ich aus zeitlichen Gründen jedoch leider ablehnen.
Am nächsten Tag hatten wir alle bösen Muskelkater und konnten uns kaum bewegen und laufen. Im Nachhinein bin ich trotzdem froh, an der ersten Probe teilgenommen zu haben. So habe ich nun einen Eindruck davon, wie das Projekt aufgebaut ist, welche Arbeit dahintersteckt, was erwartet wird. Und ich freue mich, bei der Uraufführung in Darmstadt und bei den weiteren Vorstellungen – ich muss ja bei allen dabeisein! – meine jungen Leute auf der Bühne zu sehen.“
30. Juni 2022 – Staatstheater Darmstadt (Premiere)